In einer Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts (Vergaberechtstransformationsgesetz – VergRTransfG) fordert der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW) die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien.
Der BNW setzt sich als unabhängiger Unternehmensverband seit 1992 für Umwelt- und Klimaschutz ein. Der BNW steht heute für mehr als 200.000 Arbeitsplätze, seine mehr als 700 Mitgliedsunternehmen sind Vorreiter für nachhaltiges Wirtschaften. Über seinen europäischen Dachverband Ecopreneur.eu bezieht der Verband auch in Brüssel Stellung.
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag, im Bundesklimaschutzgesetz und in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie zu nachhaltiger öffentlicher Beschaffung bekannt. Beschaffungs- und Vergabestellen von Bund, Land und Kommunen bleiben jedoch nach Einschätzung des BNW bei der Umsetzung der geltenden Regelungen und Vorschriften zu nachhaltiger Beschaffung stark hinter den Erwartungen zurück. „Mit einem Einkaufs- und Vergabevolumen von etwa 500 Mrd. Euro pro Jahr haben die Beschaffungsstellen von Bund, Ländern und Kommunen eine zentrale Marktmacht und einen erheblichen Einfluss auf die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft. Eine nachhaltige öffentliche Beschaffung kann alternative Geschäfts- und Finanzierungsmöglichkeiten für Nachhaltigkeitspioniere, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie grüne Start-ups eröffnen und damit einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft leisten“, schreibt der BNW dazu in seinem Positionspapier „Transformationshebel nutzen – Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung etablieren“ und veröffentlicht konkrete Vorschläge zur Transformation der öffentlichen Beschaffung.
Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien
Der BNW begrüßt, dass der vorliegende Referentenentwurf die Berücksichtigung von sozialen und umweltbezogenen Kriterien als Soll-Vorgabe integriert. Dennoch ist die Formulierung in §120a Abs. 1 GWB nicht umfassend genug, sondern erlaubt weiterhin Flexibilität bei der Umsetzung. Die Vorgabe, dass mindestens ein soziales oder umweltbezogenes Kriterium berücksichtigt werden soll, bleibt vage. Der Interpretationsspielraum schwächt die notwendige Durchsetzung. Der BNW fordert, dass soziale und umweltbezogene Kriterien nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Formulierung „…mindestens ein soziales oder ein umweltbezogenes Kriterium…“ muss durch „…mindestens ein soziales und umweltbezogenes Kriterium…“ ersetzt werden.
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Positiv bewertet der BNW, dass bei den umweltbezogenen Vergabekriterien unter §120a Abs. 2 auch Aspekte der Kreislaufwirtschaft berücksichtigt wurden. Dadurch können zirkuläre Geschäftsmodelle (z.B. reparaturfreundlich, wiederverwendbar) und der Einsatz von zirkulären Materialien (Einsatz von Reststoffen, Rezyklaten, nachwachsende Rohstoffe) gestärkt werden. Eine konsequente Anwendung der Kriterien sollte nachhaltige und kreislauffähige Produkte und Dienstleistungen in der Beschaffung zum Standard machen.
Folgende Formulierung aus §120a Abs. 3 sieht der BNW kritisch: „Die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Einhaltung tariflicher oder nicht-tariflicher Arbeitsbedingungen bei der Ausführung des Auftrags genügt den Anforderungen an das soziale Kriterium im Sinne der Absätze 1 und 4 nicht, soweit die Auferlegung dieser Verpflichtung in Erfüllung einer gesetzlichen Vorgabe oder einer Vorgabe auf Grund eines Gesetzes erfolgt.“ Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass diese Formulierung nachhaltig wirtschaftende KMU, die nicht tarif-gebunden sind, in Vergabeprozessen ausgrenzt. Die Verpflichtung zur Einhaltung tariflicher Arbeitsbedingungen muss ausreichen.
Förderung von Kreislaufwirtschaft durch die öffentliche Beschaffung
Der Entwurf benennt in §120a GWB Abs.2 umweltbezogene Kriterien, die „darauf abzielen, dass zu beschaffende Waren, Bau- und Dienstleistungen, soweit möglich über ihren gesamten Lebenszyklus, klimaschonend, biodiversitätsfördernd, rohstoffschonend, energiesparend, wassersparend, schadstoffarm, abfallarm, langlebig, reparaturfreundlich, wiederverwendbar, recyclingfähig, unter Einsatz von Abfällen oder Rezyklaten oder aus nachwachsenden Rohstoffen oder möglichst gut geeignet zur umweltverträglichen Abfallbewirtschaftung hergestellt, erbracht oder ausgeführt werden.“
Zur Stärkung von nachhaltigen und kreislauffähigen Materialien, Produkten und Geschäftsmodellen durch die öffentliche Beschaffung sind spezifische Aussagen zu Widerverwendbarkeit, Reparierbarkeit, Haltbarkeit, Rezyklateinsatz oder Recyclingfähigkeit notwendig. Staatliche Recyclinglabel oder Kreislaufwirtschaftslabel dienen als Nachweis für Kreislaufmaterialien. Für Elektrogeräte bietet der Reparierbarkeitsindex bzw. Nachhaltigkeitsindex nach französischem Vorbild eine gute Möglichkeit, um besonders reparierbare und modulare Produkte gegenüber Beschaffenden auszuweisen. Eine einheitliche und einfache Kennzeichnung von besonders kreislauffähigen Materialien, Produkten und Geschäftsmodellen erleichtert Vergabeprozesse. Die notwendigen Informationen lassen sich z.B. in den digitalen Produktpass integrieren.
Der Referentenentwurf lässt offen, wie Ideen und Vorhaben zur Stärkung der Beschaffung von zirkulären Produkten aus der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) aufgenommen werden sollen. Der BNW befürwortet vor allem die bevorzugte Beschaffung gebrauchter, wiederaufbereiteter und recycelter Produkte und Materialien. Zudem muss die öffentliche Beschaffung Produkte bevorzugen, die sich durch geringe Lebenszykluskosten auszeichnen, um Nachhaltigkeit zu fördern und die Gesamtwirtschaftlichkeit zu optimieren.
Positivliste mit besonderer Eignung für umweltbezogen und soziale nachhaltige Beschaffung
Der Entwurf der AVV umweltbezogen und soziale nachhaltige Beschaffung listet Leistungen mit besonderer Eignung für eine umwelt- und soziale nachhaltige Beschaffung auf. Für diese sieht der Entwurf vor, dass eine Berücksichtigung mindestens eines Nachhaltigkeitskriteriums in der Leistungsbeschreibung oder einer anderen Verfahrensstufe verpflichtend ist. Der BNW begrüßt diese Pflicht-Vorgabe, die Nachhaltigkeitskriterien in der Vergabe noch stärker verankert. Diese Pflicht-Vorgabe für umweltbezogene Beschaffung sollte auch für besonders emissions- und ressourcenintensive Produktgruppen gelten. Der BNW sieht hier unmittelbaren Handlungsbedarf und fordert die Einleitung von Maßnahmen, um die Beschaffung auf erneuerbare Energien, emissionsarme Fahrzeuge und nachhaltige Lebensmittel umzustellen.
Negativliste für klimaschädliche Produkte
Der Entwurf sieht in §120a GWB Abs. 5 Nummer 3 vor, dass die Bundesregierung „allgemeine Verwaltungsvorschriften über Leistungen [erlässt], die nicht beschafft werden dürfen; die Beschaffung solcher Leistungen bleibt hierbei erlaubt, wenn dies aus Gründen des öffentlichen Interesses dringend geboten ist.“ Der BNW begrüßt, dass durch eine Negativliste bestimmte, besonders klimaschädliche Produkte und Dienstleistungen von der Beschaffung ausgeschlossen sind. Die Negativliste muss als Teil der AVV sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung direkt auf allen Verwaltungsebenen umgesetzt werden. Sie sollte fortlaufend ergänzt werden. Nicht-kreislauffähige Produkte müssen, wie in der NKWS vorgeschlagen, über die Negativliste ausgeschlossen werden.
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Verständnis von Wirtschaftlichkeit
Noch immer ist der Angebotspreis in der Vergabepraxis oft das einzige Zuschlagskriterium. Soziale und ökologische Folgekosten durch Produktion, Nutzung oder Entsorgung finden aktuell nur in seltenen Fällen Berücksichtigung. Um die Wirtschaftlichkeit eines Produktes oder einer Dienstleistung wirklich umfassend bewerten zu können ist die Berücksichtigung von Lebenszykluskosten und Umweltauswirkungen notwendig. Der BNW fordert klare Vorgaben, mit dem Ziel, den langfristigen Wert von nachhaltigen und kreislauffähigen Produkten gegenüber herkömmlichen Angeboten sichtbar zu machen. Erst wenn Angebotspreise die sozialen und ökologischen Vor- und Nachteile abbilden, kann fairer Wettbewerb stattfinden. Die Regelungen der AVV Klima mit Berücksichtigung eines CO2 Schattenpreis bieten hier schon einen guten Rahmen, müssen aber bundesweit verbindlich sein. Den Prüfauftrag aus dem Entwurf der NKWS, Lebenszykluskosten als Zuschlagskriterium zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots zu berücksichtigen unterstützt der BNW. Der Umgang mit Mehrkosten der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung muss klar geregelt werden.
Reduzierung der Nachweispflichten und Erhöhung der Grenze für Direktaufträge
Der Entwurf sieht vor, die Hürden für KMU durch vereinfachte Anforderungen und eine reduzierte Nachweispflicht zu senken. Dies begrüßt der BNW grundsätzlich sehr. Auch, dass mittelständische Interessen besonders zu berücksichtigen sind (§97 Abs. 4 GWB) ist zu begrüßen. Die Erhöhung der Grenze der Direktaufträge vor allem mit dem Fokus auf innovative Leistungen von gemeinwohlorientierten Unternehmen schafft Anreize für diese Unternehmen, sich stärker an den Vergabeverfahren zu beteiligen.
Qualifizierung und nachhaltige Beschaffung als Führungsaufgabe
Die nachhaltige Beschaffung muss Teil der Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsmitarbeitenden werden. Interne Schulungen und Qualifizierungsmaßnahmen müssen ausgebaut werden. So können umweltbezogene und soziale Nachhaltigkeitskriterien und deren rechtssichere Anwendungsmöglichkeiten im Vergaberecht vermittelt werden. Die Kompetenzstelle Nachhaltige Beschaffung, die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, das Kompetenzzentrum innovative Beschaffung und die Allianz für nachhaltige Beschaffung können stärker als Multiplikatoren genutzt werden. Der BNW fordert zusätzlich, dass die nachhaltige Beschaffung explizit als strategische Führungsaufgabe festgelegt wird. Die politische Verantwortung für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung muss von der Leitungsebene der jeweiligen Institution getragen werden. Die Leitungsebene muss verdeutlichen, dass eine prioritäre Berücksichtigung von nachhaltigen Kriterien in der Beschaffung nicht nur gewünscht ist, sondern auch in aller Konsequenz mitgetragen wird. Das gibt den Mitarbeitenden in den Vergabestellen die entsprechenden Leitplanken vor und sichert sie bei konkreten Vergabeentscheidungen ab.
Implementierung eines Beschaffungs-Dashboard und Nachhaltigkeits-Indizes
Die nachhaltige öffentliche Beschaffung muss mit eigenen Zielen und Leistungsindikatoren ausgestattet werden. Diese Ziele können sich an der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie orientieren und für Bund, Länder und Kommunen konkretisiert werden (z.B. Zielwerte/Quoten nachhaltiges Einkaufsvolumen, Abfallreduzierung und CO2-Emissionen). Die Einhaltung der Ziele der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung muss konsequent überprüft werden. Dabei sollen zuständige Bundes- und Landesministerien regelmäßig Kernkennzahlen zu nachhaltiger öffentlicher Beschaffung in einem Dashboard veröffentlichen. Die Vergabestatistik des Statistischen Bundesamtes kann bei entsprechender Anpassung als Grundlage genutzt werden. Darüber hinaus sollen der Bundesrechnungshof bzw. die Landesrechnungshöfe als unabhängige Instanzen alle zwei Jahre Fortschrittsberichte zum Status der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung erstellen. Wünschenswert wäre die Veröffentlichung eines Index im zweijährlichen Rhythmus, um den Fortschritt bei der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung transparent zu machen.
Das Foto zeigt Berufskleidung des Herstellers Kübler Workwear, die beim „Zukunftsform nachhaltige Beschaffung“ am 12. September 2024 in Dortmund gezeigt wurde. Gastgeber der Veranstaltung mit Tagung und Ausstellung war die Stadt Dortmund.
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